Text: Kristina Bräutigam / Hanauer Anzeiger
Die Maintaler Internistin Alexandra Borgmann ist seit Anfang des Jahres Verbandsärztin des Deutschen Ju-Jutsu Verbands und betreut als solche den Nationalkader bei Wettkämpfen weltweit. Auch auf der Matte ist sie ein Naturtalent: In ihrem ersten Wettkampf holt sie in der Gewichtsklasse bis 70 Kilo den Europameistertitel, wenige Monate später krönt sie sich zur Weltmeisterin.
Dr. Alexandra Borgmann sitzt im Behandlungszimmer am Schreibtisch. Einen Kittel trägt sie nicht. Dafür einen grauen Kapuzenpullover mit der Aufschrift „Ärztin“ auf dem rechten Oberarm. Ihre Angestellten tragen die passenden Shirts. „Teamkleidung“, sagt Borgmann und lacht. Seit 2013 führt die Ärztin ihre Praxis für innere Medizin und hausärztliche Versorgung in Dörnigheim. Sport ist ein Schwerpunkt – und die große Leidenschaft der 46-Jährigen. „Beides verbinden zu können, ist mein absoluter Traum“, erzählt sie.
Ob Läufer oder Ruderer, Hand- oder Fußballer, Hobby- oder Leistungssportler: Für viele Trainer und Sportler aus der Umgebung ist Dr. Alexandra Borgmann erste Wahl, wenn es um die ärztliche Versorgung geht. Zudem ist sie Kooperationspartnerin des Deutschen Olympischen Sportbunds, der in der Praxis in der Beethovenstraße unter anderem die jährliche Leistungsdiagnostik seiner Athleten durchführen lässt – viel Arbeit für eine Ärztin, die zusätzlich die normale Hausarzt-Versorgung anbietet. Für Borgmann trotzdem nicht genug: Seit Anfang des Jahres ist sie die neue Verbandsärztin des Deutschen Ju-Jutsu Verbands (DJJV). Gemeinsam mit mehreren Physiotherapeuten ist sie für die Betreuung der Nationalmannschaft zuständig, berät Trainer, Physiotherapeuten und Ärzte, ist auf Wettkämpfen dabei.
„Es war eigentlich ein Zufall“, erzählt Borgmann. Als der SC Budokan in Maintal einen Wettkampf ausrichtet, wird ein verletzter Ju-Jutsuka in Borgmanns Praxis gebracht. Zum Dank lädt der Verband die Ärztin zum Zuschauen ein – und fragt, ob sie nicht Lust hätte, als Ärztin Teil des Teams zu werden. „Ich war von der Sportart sofort begeistert. Da habe ich nicht nein gesagt“, erinnert sie sich. Schon als Kind schlägt ihr Herz für den Kampfsport: Mit fünf Jahren beginnt sie mit Judo, schafft es bis in die Nationalmannschaft, hat auch im Taekwondo den dritten Dan. Erst als die Zeit fürs Medizinstudium zu knapp wird, beendet sie ihre Leistungssportkarriere. Durch den Kontakt zum SC Budokan kehrt sie zurück auf die Matte – und schafft als Ju-Jutsuka die Sensation: 2024, in ihrem ersten Wettkampf, holt Borgmann in der Gewichtsklasse bis 70 Kilo den Europameistertitel, wenige Monate später krönt sie sich zur Weltmeisterin.
Kampfsport von Kindesbeinen an
Ihr Wissen kommt ihr auch als Verbandsärztin zugute. Brüche, gerissene Sehnen, ausgekugelte Schultern und Prellungen zählen zu den typischen Verletzungen beim Ju-Jutsu, einem Zweikampfsport, der Elemente aus Judo und Karate vereint. „Es gibt Tritte und Schläge, da geht es zur Sache“, fasst sie zusammen. Bei der WM auf Kreta muss sie einem Ju-Jutsuka, der sich die Hand gebrochen hat, noch auf der Matte einen Zugang legen und schienen, begleitet ihn anschließend in die Klinik.
Auch beratend ist Borgmann tätig. Ist ein Bruch ausgeheilt? Wäre ein Wettkampf zu riskant? Am Ende könne sie nur Empfehlungen aussprechen, die Entscheidung treffen die Trainer, auch wenn sie aus medizinischer Sicht manchmal anders handeln würde, gesteht Borgmann. Anders ist es im Wettkampf: „Wenn ich sage, dass der Athlet nicht weiterkämpfen darf, ist Schluss.“
Wer im Wettkampf blutet, darf ohnehin nicht weiterkämpfen. Deshalb gehört das Klammern offener Wunden zu den Hauptaufgaben der Ärztin. „Es gibt einige Nationen, die gar keinen Verbandsarzt haben. Deren Athleten sind dann raus“, berichtet Borgmann, die schon so manches Mal eingesprungen ist, etwa in Tel Aviv, als der zuständige Verbandsarzt an Corona erkrankt und ausfällt.
Eine Herausforderung ist auch die logistische Organisation im Vorfeld der Wettkämpfe. Um die erforderlichen Medikamente einführen zu dürfen, verlangen einige Länder Ausnahmegenehmigungen. „Wenn ich ohne diese Genehmigung mit einem Rucksack voller Betäubungsmittel nach Saudi-Arabien fliegen will, würden die Medikamente vom Zoll eingezogen“, erklärt Borgmann. Schon so manches Mal hat ihr ein Arzt vor Ort aushelfen und die Medikamente besorgen müssen. Finanziell lohne sich der Einsatz nicht. Flug und Hotel zahlt zwar der Verband, sie erhält zusätzlich eine Tagespauschale.
Erlebnisse entschädigen
Dennoch: Die Erlebnisse vor Ort entschädigen für den Aufwand hinter den Kulissen. Im Juli 2023 reist Borgmann als Teamärztin für die deutsche Mannschaft zum European Youth Olympic Festival nach Maribor (Slowenien). Mehr als 2500 Athleten aus 48 Ländern treten in elf Disziplinen gegeneinander an. Borgmann jettet von einer Wettkampfstätte zur nächsten. Anstrengend sei es gewesen, sagt sie: „Aber als wir mit den deutschen Fähnchen ins Stadion eingelaufen sind, das war magisch.“ Der nächste Einsatz steht Ende März an. Im Rahmen der Jugend-Ju-Jutsu-WM auf Zypern wird Alexandra Borgmann an der Kampffläche sitzen und das deutsche Nachwuchs-Team betreuen.
Solange ihre Familie, die sie oft auf die Reisen begleitet, mitspiele, will Borgmann als Verbandsärztin weitermachen. Auch die meisten Patienten hätten Verständnis, wenn sie während der Wettkämpfe die Praxis schließen muss. Die Fotos von den Einsätzen und Turnieren hängen in Wartezimmer und Behandlungsraum. Wenn alles klappt, kommen im November neue dazu. Dann reist die Ärztin nach Thailand. Sie wird die deutsche Nationalmannschaft betreuen – und ihren WM-Titel verteidigen.
Foto: © Patrick Scheiber